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Titel
Freigeister und Pragmatiker. Die preußischen Feldprediger 1750–1806


Autor(en)
Strauß, Angela
Reihe
Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit (28)
Erschienen
Göttingen 2021: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
395 S.
Preis
€ 55,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Schröder, Universität Duisburg-Essen

Die kritische Hinterfragung des verbreiteten Geschichtsbildes von preußischen Feldpredigern bildet den Ausgangspunkt für die im Wintersemester 2018/19 an der Universität Tübingen angenommenen Dissertation von Angela Strauß. Gemeinhin wurden die Militärgeistlichen Preußens als patriotische, königstreue, ermutigende und disziplinierende Agenten der Obrigkeit dargestellt. Im Gegensatz dazu deutet Strauß die Pfarrer in der Armee als selbstbestimmte und facettenreiche Geistliche, deren Einfluss über die Grenzen der Militärgesellschaft weit hinausreichte. Die Autorin gründet diese Kernthese auf vorhandene Studien, die das tradierte Bild der preußischen Feldgeistlichen bereits hinterfragten.1 Nun ergründet sie allerdings mit Rückgriff auf eine Vielzahl von Militärpfarrern, inwieweit die Militärgeistlichkeit ihre Eigenständigkeit behauptete und ihre Eigeninteressen gegenüber der Herrschaft artikulierte. Anhand dreier Themenkomplexe geht Strauß hierfür vor. Der erste Komplex umfasst die Rolle der Militärgeistlichen innerhalb des Militärs und der Gesellschaft. Im zweiten Themenblock steht die Funktion der Religion für das Militär im Fokus. Der dritte Bereich ist den Einflüssen der Aufklärung und pietistischen Strömungen gewidmet, die nicht vor der preußischen Armee haltmachten. Währenddessen fragt Strauß auch generell nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen zivilem und militärischem Kirchenwesen, sodass sie ebenfalls einen Beitrag zur Debatte zum Wesen des frühneuzeitlichen Militärs in der Neuen Militärgeschichte leistet.

Methodisch wählt Strauß sozialgeschichtliche, kollektivbiographische und ideen- bzw. diskursgeschichtliche Zugänge, um die Spannungsfelder zwischen Religion, Militär, Aufklärung und Gesellschaft auszuloten. Als Untersuchungsgrundlage dient der Verfasserin hierfür ein Quellenkorpus hauptsächlich aus Verwaltungsschriftgut (Lebensläufe, Konduit- und Versorgungslisten aus den Beständen der preußischen Feldpropstei) und den Veröffentlichungen sowie Selbstzeugnissen der Militärpfarrer. Insgesamt gibt die Autorin an, ca. 800 Personen über den Untersuchungszeitraum von 1750 bis 1806 erfasst zu haben.

Die Untersuchung ist in sechs inhaltliche Kapitel eingeteilt. Den Anfang macht ein einführender Abschnitt, der entscheidenden Verwaltungsentwicklungen und bedeutende Persönlichkeiten sowie die zeitgenössische Publizistik über die Feldprediger vorstellt. Trotz der generellen Institutionalisierung des preußischen Militärwesens zwischen 1750 und 1806 wird in diesem ersten Teil nachvollziehbar dargelegt, dass das rechtlich klar getrennte Militärkirchenwesen zahlreiche Schnittstellen und Verflechtungen mit der zivilen Landeskirche aufwies. Eine normative Trennung von „Militär“ und anderen gesellschaftlichen Räumen ist daher auch mit Blick auf die Feldprediger kaum möglich. Gefolgt wird dieser Teil von einem kollektivbiographischen Kapitel über die Karrierewege der Militärgeistlichen. Darin wird herausgearbeitet, dass die Militärpfarrer keine Elite der preußischen Geistlichkeit bildeten. Vielmehr können sie als soziale Aufsteiger klassifiziert werden, die keine Unterschiede in Bezug auf ihre soziale Herkunft zu ihren zivilen Amtsbrüdern aufwiesen. Danach rückt die Kriegserfahrung als zentrales Identifikationsmerkmal der Militärpfarrer ins Zentrum des anschließenden Kapitels. Die Gruppe der Militärgeistlichen konstituierte sich demnach primär über die kollektive Kriegserfahrung und grenzte sich anhand dieser Erfahrung nach außen ab. Im fünften Kapitel nimmt die Verfasserin das Religionsverständnis der Militärgeistlichkeit in den Blick. Ähnlich wie die soziale Herkunft oder die Kriegserfahrung einte die Militärpfarrer auch ihr Religionsverständnis, welches über den Begriff der „Praktischen Religion“, also das konkrete soziale Handeln auf Grundlage der Religion z. B. im Schulwesen, beschrieben werden kann. Noch einen Schritt weiter in diese Richtung geht die Autorin im darauffolgenden Kapitel über die Bildungsanstrengungen der Militärpfarrer. Diese beabsichtigten, die Bildung und Moralisierung der Gesellschaft voranzubringen, um die Bevölkerung zu moralisch handelnden Untertanen zu erziehen (S. 262). Den Abschluss des inhaltlichen Hauptteils bildet ein Kapitel zur Politisierung des Predigtamts. Den Ergebnissen der Untersuchung zufolge hatte sich die Politisierung der Militärgeistlichen nach dem Siebenjährigen Krieges allmählich verstärkt. Im Zentrum dieser Entwicklung stand ein Verständnis von Patriotismus der Militärpfarrer, den sie als moralisch begründeten und religiös unterfütterten Einsatz für das Gemeinwohl verstanden.

Obwohl die Untersuchung mit ihrem Aufbau und auch mit der Herangehensweise an die historischen Überlieferungen überaus überzeugt, ergeben sich kleinere Anlässe zur Kritik. Zunächst weist die Arbeit einige textliche Ungereimtheiten auf, die sich beispielsweise in Wiederholungen (S. 29 bzw. S. 33) und in der falschen Kapitelzählung in der Einleitung zeigen (S. 41). Abgesehen davon erscheint die Wahl des Titels als ein wenig gewagt. In den Militärgeistlichen der preußischen Armee Freigeister zu sehen, mag zwar in Teilen zutreffend sein, allerdings handelte es sich bei den Militärpfarrern nicht um unabhängige und liberale Intellektuelle, die auch religiösen Dogmen entsagten. Nichtsdestotrotz vermag man über solche fraglichen Stellen im Angesicht der schlüssigen Argumentation und des ansonsten flüssigen Schreibstils der Autorin hinwegzusehen. Besondere Würdigung sollte das Personenregister am Ende des Buches erhalten, da dieses Hilfsmittel den Ansatz der Untersuchung folgerichtig komplementiert und die Arbeit zu einem biographischen Nachschlagewerk macht.

Mit ihren Forschungsergebnissen schließt Strauß eine Lücke innerhalb der ansonsten vergleichsweise gut erforschten preußischen Militärgeschichtsschreibung. Wie es bereits für die Soldaten, Soldatenfamilien und Offiziere der preußischen Armee während der Frühen Neuzeit unternommen wurde2, liefert die Studie nun auch für die bedeutende Gruppe der Militärgeistlichen grundlegende Erkenntnisse. Die Verfasserin erweitert mit ihrer Arbeit den Forschungsstand zur frühneuzeitlichen Armee Preußens um weitere bedeutende Anhaltspunkte, die auch zur Bestimmung des „Militärischen“ im Allgemeinen beiträgt. Dank der Arbeit von Strauß muss das Bild der preußischen Feldprediger revidiert werden, was zugleich ein neues Schlaglicht auf die Armee und Gesellschaft Preußens an sich wirft.

Anmerkungen:
1 Vgl. Benjamin Marschke, Militärseelsorge in Preußen. Sozialdisziplinierung durch Pietisten, in: Angelika Dörfler-Dierken (Hrsg.), Reformation und Militär. Wege und Irrwege in fünf Jahrhunderten, Göttingen 2019, S. 141–152; ders., Vom Feldpredigerwesen zum Militärkirchenwesen. Die Erweiterung und Institutionalisierung der Militärseelsorge Preußens im frühen 18. Jahrhundert, in: Michael Kaiser / Stefan Kroll (Hrsg.), Militär und Religiosität in der Frühen Neuzeit, Münster 2004, S. 249–275.
2 Vgl. die jüngere Forschung: Beate Engelen, Soldatenfrauen der preußischen Armee im späten 17. und im 18. Jahrhundert. Eine Strukturanalyse der preußischen Garnisonsgesellschaft (=Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit, Bd. 7) Münster 2005; Martin Winter, Untertanengeist durch Militärpflicht? Das preußische Kantonsystem in brandenburgischen Städten im 18. Jahrhundert (=Studien zur Regionalgeschichte, Bd. 20) Bielefeld 2005; Carmen Winkel, Im Netz des Königs. Netzwerke und Patronage in der preußischen Armee 1713–1786 (=Krieg in der Gesichte, Bd. 79) Paderborn 2013; Denny Becker, Versorgung, Niederlassung und Lebenswelt preußischer Soldaten- und Invalidenfamilien auf dem Land (1740–1806), Berlin 2016.

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